GAGURIN
In unserem Zwölffamilienhaus hatte sich ein neuer Bewohner einquartiert. Sein Gesicht war rund und ohne Augenbrauen. Er war bei der Miliz beschäftigt und es war ihm erlaubt, einen Revolver bei sich zu tragen.
Wenn er besoffen war, lief er im bloßen Unterhemd im Hof herum, schwenkte seinen Revolver und schrie, er sei ein Woroschilow- Schütze und werde uns alle liquidieren. Ernst nahm seine Drohungen keiner, alle wußten, der Revolver war nicht geladen.
Wie und woher er in unsere Stadt gekommen war, wußte niemand. Es wurde erzählt, er hätte nach dem Krieg in Polen gedient, wo er auch gelernt haben soll, den Frauen die Hand zu küssen. Das verstand er gar nicht so schlecht, ansonsten äußerte sich seine Lebensphilosophie in einem gern von ihm wiederholten Satz , mit dem er uns, die Halbwüchsigen, belehrte:um Weiber hinzulegen, muß ein Mann wie ein richtiger Mann riechen - nach Tabak, Wodka und Schweiß.
Der etwas schwerhörigen Klawdija Lasarewna Granowskaja, die sich vor Gagurin panisch fürchtete, schrie er jedes Mal, wenn er ihr auf der Treppe begegnete, ins Ohr: „Ba! Sie sind immer noch da! Und ich dachte, Sie wären bereits in Birobidschan!“
Einmal kam er auf die Idee, die Hauseinwohner auf ihre Regierungstreue zu prüfen. Einige von ihnen trugen Namen, die für unsere Gegend ziemlich exotisch klangen. So wohnte in unserem Haus ein kleiner unauffälliger Landwirt. Er hieß Donauer und sprach die Mundart der hiesigen Wladimir-Region. In einem Kinderheim aufgewachsen, konnte er sich an seine Eltern nicht erinnern. Wo er seinen Namen her hatte, vermochte er nicht zu erklären. Gagurin hatte dieser Name an die feindlichen Namen jener Zeit erinnert: Eisenhower, Adenauer. Er erkundigte sich bei den Nachbarn, mit wem sich Donauer trifft, wen er besucht und warum er so oft und für so lange Zeit auf Dienstreisen geht.
Donauers Frau Maschka, ein großes, schmachtendes Weib, hatte ihren Mann in seiner Abwesenheit nach Kräften betrogen
Gagurin lief auch oft zu ihr, dies wurde Gagurins Frau mitgeteilt, sie zerkratzte Maschkas Gesicht, später hat sich die Sache aber gelegt, Gagurin hat es geschafft, seine Gattin zu überzeugen, er hätte nach einem Dienstauftrag gehandelt.
Danach versuchte er es mit meinem Vater. Einen lebendigen Deutschen hat er nicht einmal an der Front gesehen und da wohnt einer zum Greifen nah, in dem selben Treppenhaus mit dir!
Er ließ seine blasse kleine Tochter hinter unserer Tür lauschen und uns, Kinder, nach den Eltern ausfragen.
Als mein Vater das erfuhr, sagte er Gagurin:
„Was bist du für ein Depp, Gagurin, damit kommst zwei, drei Jahre zu spät. jetzt ist Tauwetter. Für solche Eigeninitiative nimmt man dir noch deinen Revolver weg...“
„- Aleksandrytsch, ich hab`s doch nur so...ich mein, es war doch nur Spaß...“
Er verschwand aus unserer Stadt genau so plötzlich wie er einst aufgetaucht war. Man hatte ihn irgendwohin versetzt. Einen Tag danach hatte man ihn schon vergessen.
Es vergingen einige Jahre. Eines sonnigen Frühlingsmorgens kam Klawdija Lasarewna mit einer Nachricht zu uns gelaufen: Gagurin ist im Weltall!
Ein Schrecken lag in ihrem Gesicht, als hätte sie sich vorgestellt, wie Gagurin ihr aus dem Weltall zuschreit: “Sind Sie noch immer nicht in Birobidschan?!
Mein Vater beruhigte sie: Klawa, er wird von dort nicht zurückkommen wie der Lajka
Wir machten das Radio an.